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Retrospect Ensemble - Bach: Harpsichord Concertos - Klassik

Interpretation: 4 stars
Klangqualität: 4 stars
Repertoirewert: 4 stars

Kammerkonzerte
Matthew Halls und sein Retrospect Ensemble können in solistischer Besetzung mit einer feinen Auswahlder Cembalokonzerte Johann Sebastian Bachs überzeugen.

Es gehört nicht zu geringsten Leistungen Johann Sebastian Bachs, das Cembalo aus der Fron des bloßen Continuospiels erlöst und in den Rang einer auf Augenhöhe mit dem Orchester agierenden Sologröße erhoben zu haben. Die in den Köthener und Leipziger Jahren entstandenen Bachschen Cembalokonzerte sind neben ihrem schieren musikalischen Gehalt auch dadurch eindrucksvoll, dass Bach gewissermaßen vom Start der neuen Gattung des Klavierkonzerts an in höchster formaler Reife agierte.

Die aktuelle Platte des erst 2009 aus dem King's Consort hervorgegangenen Retrospect Ensemble versammelt vier prominente Beispiele dieser frühen Klavierkonzerte, die den künstlerischen Leiter des Ensembles, Matthew Halls, einmal mehr als bemerkenswerten Cembalisten hervortreten lassen. Einige der Konzerte sind aus anderen Zusammenhängen bestens bekannt: So ist das F-Dur-Konzert BWV 1057 die Umarbeitung des Fünften Brandenburgischen Konzerts, während das g-Moll-Konzert BWV 1058 eine veränderte Version des a-Moll-Konzerts BWV 1041 für Solovioline und Orchester ist. Bach komponiert, arrangiert, rekonstruiert - mit Blick auf die schier maßlose Vielfalt seiner Aufgaben verwundert das keinen Moment lang - äußerst ökonomisch, mit einem untrüglichen Gespür für die Qualität im eigenen Schaffen und ohne je instrumentale Idiomatiken zu missachten oder durch setzerische Fahrlässigkeiten das expressive Potenzial seiner Werke zu gefährden.

Überzeugende Konstellation

Matthew Halls zeigt sich stupend virtuos: Er beherrscht die für Bachs Cembalokonzerte typische sublime Geläufigkeit ohne Mühen und ist zugleich brillanter Impulsgeber für das Zusammenwirken mit dem Ensemble. Doch werden zugleich artikulatorische Differenzen sehr überzeugend herausgearbeitet, profiliert sich Halls immer wieder auch als feiner Lyriker. Bei der Entfaltung dieses an Schattierungen reichen Ansatzes hilft es ihm, dass er die oft in verschränkter Faktur angelegten Sätze nie mit solistisch auftrumpfender Geste zu dominieren sucht. Garant dafür ist auch das harmonisch klingende Cembalo: Ian Tucker hat es als Kopie nach einem von Ruckers gebauten und später von Hemsch erweiterten Original hergestellt - offenbar, muss man sagen, denn das ausschließlich in englischer Sprache grundsätzlich solide informierende und ansprechend fotografierte Booklet gibt sich in diesem Aspekt unangemessen karg und liefert außer dem Stimmton und den drei Namen Tucker, Ruckers und Hemsch keinerlei Hinweise zum Instrument. Das zeigt sich in seiner Plastizität sehr überzeugend, die Höhen sind nicht zu schmal, die Tiefen haben zwar Körper, sind aber doch hochkonzentriert.

Das Retrospect Ensemble ist eine spiel- und klangfreudige Formation - obwohl es auf der aktuellen Platte in nur einfacher Besetzung zu hören ist. Diese solistische Formation befindet sich in gelungener Balance zum klar konturierten Klang des Soloinstruments. Die Streicher (in BWV 1057 um zwei Blockflöten ergänzt) agieren dabei bemerkenswert energisch in ihren Gesten, ohne dabei je zu forcieren. Es herrscht im Wechsel- und Zusammenspiel mit Matthew Halls einfach eine lebendige kammermusikalische Sphäre voller Lebendigkeit. Zum Gelingen tragen die entschieden gewählten, zu einem überzeugenden Tableau zusammengeführten Tempi ebenso bei wie die feinen dynamischen Stufungen zwischen Eck- und Binnensätzen oder zwischen solistischen und ritornellartigen Abschnitten. Die Artikulation ist im Solistischen von perlender Kleinteiligkeit getragen, das Ensemble korrespondiert damit gelungen, etabliert daneben aber auch eine lyrisch-gesangliche Sphäre. Das Klangbild ist konzentriert und präsent, plastisch und klar, wirkt - angesichts der Besetzung ist das durchaus erstaunlich - zudem prall substantiiert. Im Zusammenspiel mit den Blockflöten ist die generell überzeugende Balance etwas zuungunsten der hohen Streicher angetastet. Das Abbild des Kontrabasses neigt in manchem Ritornell trotz vorzüglicher Artikulation von Timothy Amherst zu einigen Üppigkeiten.

Erneut unterstreicht das Retrospect Ensemble seine Bach-Kompetenz. In kleinster Besetzung wird erstaunliches Temperamentent faltet, wird aber auch eine erlesene Klangkultur präsentiert. Matthew Halls ist ganz offenbar ein ebenso inspirierter wie inspirierender Ensembleleiter, Kammermusiker und Cembalosolist. In dieser Konstellation steckt noch viel künstlerisches Potenzial.    

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Klassik
21 November 2012