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Royal Academy of Music Soloists Ensemble & Trevor Pinnock - Mahler: Lieder eines fahrenden Gesellen - WDR 3 Musik TonArt

Autor (1): Gustav Mahlers „Lieder eines fahrenden Gesellen", geschrumpft auf eine Besetzung mit Flöte, Klarinette, Klavier, Harmonium, Streichquintett und Gesang. In dieser Bearbeitung von Arnold Schönberg eröffnen Trevor Pinnock und die Solisten der Royal Academy of Music ihr neues Album.

Aber ist das noch echter Mahler? Der große, wuchtige Orchesterapparat klingt hier so schlank und gläsern. Doch Schönberg strebte genau das an: Er wollte Mahlers originale Klangvorstellungen erhalten und sie nur auf ökonomischere Verhältnisse übertragen.

Für Pinnock sind solch kleine Besetzungen vertrautes Terrain, schließlich kommt er aus der Alte-Musik-Szene. Hier kann er seinen Sinn für feine Strukturen wunderbar demonstrieren.

Autor (2): 1918 hatte Arnold Schönberg den „Verein für musikalische Privataufführungen" ins Leben gerufen. Er wollte Musikern und Hörern die Gelegenheit bieten, neue Musik kennenzulernen. Moderne Orchestermusik sollte von Kammermusik-Ensembles aufgeführt werden. Das Sinfonieorchester im Wohnzimmer. Nach nur einem Jahr lagen knapp 30 Bearbeitungen vor, darunter Musik von Max Reger, Claude Debussy, Richard Strauss, Igor Strawinsky, Busoni (dessen „Berceuse élégiaque" auch auf dieser CD festgehalten ist)- und eben mit Musik von Gustav Mahler.

Autor (3): Bei Pinnock und der Royal Academy of Music klingen die „Lieder eines fahrenden Gesellen" wie unter dem Mikroskop. Details treten unmittelbar hervor, nie aufdringlich, sondern mit einer geradezu liebevollen Aufmerksamkeit. Den Solopart übernimmt Gareth Brynmor John, ein junger englischer Bariton mit vergleichsweise hellem Timbre. Weil er meist sehr textverständlich singt, kann man ihm gut folgen, auch ohne Beiheft in der Hand. Trotzdem erreicht er den Hörer nicht ganz. Dafür gibt es nicht den einen Grund; verschiedene Mosaiksteinchen kommen zusammen, weshalb der Vortrag nicht mehr als Durchschnitt ist. Unter anderem wirkt sein Gesang manchmal zu gesteuert und beherrscht, die Farben zu monochrom, er kann uns das Existenzielle dieser Musik nicht hinreichend vermitteln. Das symbolische „glühend Messer" in der Brust klingt beispielsweise zu wenig nach Bedrohung, nach Todesnähe oder gar Panik.

Autor (4): Die zweite Solistin auf dieser CD ist Katie Bray. Sie singt die sechs Gesänge op. 13 von Alexander von Zemlinsky. Auch hier handelt es sich um eine Bearbeitung. Der englische Komponist Christopher Austin hat Schönbergs mehr als hundert Jahre alte Idee von der kammermusikalischen Verschlankung aufgegriffen und diese Lieder jetzt für kleines Orchester gesetzt.

Autor (5): Katie Bray singt das sehr nachdenklich und melancholisch - denn sie hebt sich ihre Reserven auf, bis sie in glasklare Höhen hinauf gleitet. Das geschieht so mühelos und mit so reiner Tongebung, dass man sich ihr gerne anvertraut.

Autor (6): Diese Lieder, die von Todessehnsucht, Tränen, Abschied und vergeblichem Warten handeln, laufen schnell Gefahr, schwül und konturenarm zu klingen. Das aber ist hier nicht der Fall. Dank des schlanken und von Pinnock auch gekonnt schlank geführten Orchesters hat man immer den Eindruck, verschiedene Zwischenreiche hautnah erleben zu können, mal am Rand einer Ohnmacht, mal der Verzweiflung nahe, mal mit einem Anflug von Hoffnung.

Autor (7): Ans Ende dieser CD haben Pinnock und die Solisten der Royal Academy Richard Wagners „Siegfried Idyll" gesetzt - in der Urfassung für Kammermusik-Ensemble, wie 6 sie in Wagners Haus am Vierwaldstättersee mit 17 Musikern uraufgeführt wurde.

Autor (8): Pinnock entfacht ein flutendes Legato und lässt geradezu intim musizieren. Fast puristisch verzichtet er auf jeden Effekt. Die Musik klingt schonungslos direkt, der Hörer kann jedem Verlauf genau verfolgen und man darf sich freuen, den sonst so wagnerschwüligsten Ballast hier einmal vergessen zu können.

Autor (9): Wenn ein Dirigent wie Trevor Pinnock mit seinen Erfahrungen aus der Alten Musik auf so wunderbar uneitle Weise sich dem spätromantischen Repertoire nähert, ist das ein Gewinn. Vieles wirkt graziler, weniger fett und dadurch unmittelbarer.

WDR 3
07 July 2015