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Phantasm - Dowland: Lachrimae - Der Neue Merker

Geschrieben für Laute und Streichinstrumente (Violas) finden diese Tänze wie Pavanes, Galliardes und Almands nachempfundenen in ihrem Grundduktus zutiefst melancholischen Gesänge für ein Kammermusikensemble ihre Wurzeln in Bußpsalmen Orlando di Lassos bzw. Madrigalen von Luca Marenzio. Was frappiert und berührt ist der stete musikalische Fluss, der Kummer und Trauer in fließenden Tränen apostrophiert, in höchster Feinheit und ziseliert in zahllosen Varianten. Die Sprache des Schmerzes ist so vielfältig wie jede emotionale Lebensäußerung. Neben den sieben kunstvollen Lachrimaes sind auf der CD noch 14 weitere Tänze (vornehmlich Galliards) zu hören, die quasi als Selbstporträt des Komponisten Widmungen an ihn nahestehende Personen enthalten: Da gibt es den zweiten Earl of Essex (Opernfreunden auch bekannt als Roberto Devereux, der wegen Hochverrats gegen Elizabeth I 1601 hingerichtet wurde), Sir Henry Umpton, ein aristokratischer Musiker oder Captain Digorie Piper, ein überführter letztlich total verarmter Pirat, der zu hohen Entschädigungszahlungen an die Opfer verurteilt worden ist. Das ihm gewidmete „If My Complaints Could Passions Move" ist besonders berührend. Weitere illustre Namen sind in diesen Stücken verewigt: Mr. Bucton, Sir John Souch, Henry Noell, John Langton. Gewidmet sind die 1604 entstandenen Lachrimae Anna von Dänemark, Königin von England und Schottland, der Dowland alle guten Eigenschaften der Göttinnen Juno, Pallas Athene und Venus zuschreibt.

Ein Film läuft vor des Hörers Auge ab, den sieben langsamen Stücken zu Beginn weichen nach und nach durchaus auch dynamisch und rhythmisch abwechslungsreiche Kompositionen, der wahre Tanzcharakter der Piècen kommt nach und nach zu seinem Recht: Dudelsackimitationen und aufblitzender Frohsinn signalisieren die andere Seite der Medaille: Tränen können ja auch Ausdruck von Freude und Glück sein. Dowlands Musik sind aber in erster Linie Reflexionen über ein poetisches Thema; in seinem Leben begründet, aber weit darüber an Aktualität und Universalität gewinnend. Die darin in Form gegossene polyphone Harmonie spiegelt repetitive Motive, abgewandelt in neue Kombinationen, und führt über das Anhören zu Trost und Ruhe. Der Musik wohnt ein meditativer Charakter inne, der in seiner „semistatischen Unruhe" magisch wirkt.

Die Lautenistin Elizabeth Kenny und ihr grandioses Ensemble (Laurence Dreyfus, Jonathan Manson, Mikko Perkola, Emilia Benjamin, Markku Luolajan-Mikkola) verliehen der Musik all ihre Tiefe, Unaufgeregtheit und einen natürlichen Fluss, der den Hörer mit sich hinwegträgt. An manchen Tagen ist dies wohl das Größte, was Kunst zu leisten vermag.

Der Neue Merker
27 July 2016