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Robin Ticciati & SCO - Brahms: The Symphonies - NDR

Schon einmal ist ein Brite mit Lockenkopf nach Berlin gekommen, um dann ganz groß durchzustarten: Simon Rattle bei den Philharmonikern. Nun hat das Deutsche Sinfonieorchester Berlin seit Beginn dieser Spielzeit einen von Rattles Schülern an der Spitze: den 34-jährigen Robin Ticciati, derzeit noch Chefdirigent beim Scottisch Chamber Orchestra. Seine Abschiedssaison in Schottland krönt Ticciati nun mit einer Gesamtaufnahme der Brahms-Sinfonien.

"Mit dem Scottish Chamber Orchestra habe ich zunächst Haydn, Mozart und Beethoven erkundet in Sachen Kontrapunkt, Harmonie, Phrasierung", erzählt Ticciati. "Dann haben wir uns auf Berlioz und Schumann konzentriert. Aber Brahms war dann doch nochmal intensiver, ein tieferer, dunklerer Wald am Ende unserer gemeinsamen Zeit."

Und doch wird sich in diesem Wald keiner verlaufen. Kein Dickicht, kein undurchdringliches Unterholz - das Scottish Chamber Orchestra entdeckt mit schlanker Besetzung eine Lichtung nach der anderen.

Die kleine Streichergruppe kommt dem von Brahms favorisierten Meininger Orchester nahe, die Pauken sind mit Kalbsfellen bespannt, die Posaunen kleinkalibrig und die Hörner von Wiener Bauart aus dem 19. Jahrhundert. "Als ich mich diesem Zyklus genähert habe", so Ticciati, "sagte ich den Musikern: Lasst uns in der Tradition der Meininger Hofkapelle spielen, mit ähnlicher Aufstellung. Wir wollen aber auch nicht vergessen, dass Brahms gegenüber Besetzungsgrößen sehr offen war, größeren wir kleineren. Mit diesem Wissen haben wir unseren eigenen Stil des 19. Jahrhunderts gefunden. Mein Bauchgefühl sagte mir, dass wir Brahms auf genau diese Art am nächsten kommen würden. Immer aber in dem Wissen, dass wir Jetzt leben, mit diesen Instrumenten und mir als Dirigenten; und dass die Musik im Hier und Heute zu uns sprechen muss."

Zu Lebzeiten musste sich Brahms oft den Vorwurf gefallen lassen, seine Sinfonien seien vielmehr erweiterte Kammermusik. Diese Kritik erhebt Ticciati zur Tugend. Bei ihm klingen die Sinfonien nicht herbstlich und düster - die Betonung liegt auf dem rauen, romantischen Fieber, das in der Partitur steckt. Oder auch nicht steckt, wie etwa die Seufzer zu Beginn der vierten Sinfonie zeigen. Zu Ticciatis Bauchgefühl gehört offenbar auch der freie Umgang mit Tempi: flott, der Beginn der c-Moll-Sinfonie. Demgegenüber geradezu gemächlich ist der dritte Satz, eigentlich "poco allegretto e grazioso".

"Brahms hatten wir eigentlich nie geplant", gibt Ticciati zu. "Aber als sich plötzlich ein Zeitfenster von drei Wochen in unserem Kalender auftat, merkte ich: Diese Sinfonien würde ich mit keinem anderen Orchester lieber aufnehmen als mit dem Scottish Chamber Orchestra. Unsere Herzen schlagen einfach im selben Takt."

Seine Abschiedskonzerte mit diesem Orchester hat Ticciati in Edinburgh und Glasgow gegeben. Das Ende einer neunjährigen Zusammenarbeit, als deren Vermächtnis diese frische Brahms-Aufnahme gehört werden kann.

NDR
23 March 2018