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Boston Baroque - Haydn: Lord Nelson Mass - Chorzeit

Missa in angustiis» - «Messe in Bedrängnis», nannte Joseph Haydn seine Messe von 1798 (dem Uraufführungsjahr der «Schöpfung»), die er als eine von sechs im Auftrag des FürstenEsterházy schrieb. Durch die politischen Ereignisse erhielt sie den Namen «Nelson-Messe»: 1800 ließ der Fürst das Werk zu Ehren des Siegers über die Franzosen in der Schlacht von Abukir aufführen. Nachdem schon mehrere Einspielungen des populären Werkes aus der historischen Aufführungspraxis vorliegen - unter anderem von Harnoncourt und Gardiner - präsentieren nun Chor und Orchester von Boston Baroque das eigenwillige Werk und machenerneut unmissverständlich klar, dass es für diese Literatur keine Alternative zu alten Instrumenten gibt: Das ohnehin schon geheimnisvolle, auch eigenartige Klangbild der Streicher mit drei Trompeten und Pauken - ohne Holzbläser - mit seinen präzisen Artikulationen erklingt in jedem Augenblick mit einer ungemein vorwärtsdrängenden Spannung. So gleich zu Anfang das aus unerbittlicher Bedrohung aufklingende «Kyrie» mit seinen explosiven rhythmischen Trompetenklängen, auch die scharfen Trompeten in dem Flehen des Soprans und der Streicher.


In Haydns einziger Messe in Moll wird einerseits seine fraglose Frömmigkeit ebenso evident wie sein Bezug zur Realität - großartig im «Benedictus», wenn die Fanfaren eher den weltlichen Herrscher ankündigen (nachweislich kann das nicht der Admiral Nelson gewesen sein, denn Haydn erhielt diese Nachricht erst später). «Straff und aggressiv » nennt Dietmar Holland nicht zu Unrecht die Komposition und so wird sie auch von einem der ältesten historischen Orchester samt Chor virtuos und klangschön musiziert, mit stilsicheren Akzenten von den Solisten Mary Wilson (Sopran), Abigail Fischer (Tenor), Keath Jameson (Tenor) und leider etwas angestrengt von Kevin Deas (Bass). 


Noch im hohen Alter schrieb Haydn Musik von unvorstellbarer Frische und berstenden Ideen. Von den weit über 100 Sinfonien ist jede vollkommen anders, und die zwölf in London vom Verleger Peter Salomon bestellten Werke ganz besonders. Anders in ihrer Komik, ihren immer überraschenden Formen, ihrer Instrumentation, man kann sogar sagen, anders darin, was überhaupt eine Sinfonie sei. Der große Experimentator Haydn kennt keine Gesetze oder Grenzen. Carl Friedrich Zelter bescheinigte ihm: «Sie haben das Feuer vom Himmel geholt».Die letzten fünfzehn Takte der Sinfonie 102 (1794) mögen dafür beispielhaft sein, wenn Haydn uns nach einem verfremdeten kroatischen Marschthema auf witzige Weise vorführt, was für ein Problem der Abschluss eines Stückes sein kann. Das ist von den Bostonern pfiffig gemacht: Er kommt einfach nicht zum Ende. Und genau das haben die Bostoner humorvoll und pfiffig umgesetzt.    

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Chorzeit
20 February 2014