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Handel's Messiah LP - Dunedin Consort - LP Magazin

Es geschehen noch Zeichen und Wunder! Nicht nur, dass die Prophezeiung, der Messias werde auferstehen, sich vor 2000 Jahren erfüllte; jetzt veröffentlicht Linn Records mit dem gleichnamigen Oratorium noch sein erstes Vinyl im Klassikbereich! Eigentlich ist es ja nur folgerichtig, dass das Meisterwerk Georg Friedrich Händels auf einem schottischen Label veröffentlicht wird. Denn die Uraufführung fand keineswegs in Deutschland statt, sondern in Dublin. Und auch die englische Originalsprache ist eigentlich ein Muss, denn auch wenn die deutsche Übersetzung (mit vielen anderen) bereits zu Händels Lebzeiten begonnen wurde, ist die Originalsprache meiner Meinung nach ein wichtiger Schritt in Richtung Authentizität.

Aber nun schön der Reihe nach: Händels Ambitionen, biblischen Stoff in Opernform zu vertonen, scheiterten am Puritanismus auf der Insel, denn jegliche szenische Darstellung wurde kategorisch abgelehnt. Einziger Ausweg war die Form des Oratoriums als eine Art christlicher Oper, um dem Verbot zu entgehen. Im Umkehrschluss musste der Komponist natürlich allen Ausdruck in Musik umwandeln, um eine Art darstellerische Handlung abzubilden. Hier kam ihm die barocke Figurenlehre zugute: Das Publikum damals wusste, was mit den musikalischen Wendungen gemeint war und welche Affekte sichtbar gemacht werden sollten. Und auch die Rolle der Tonarten und Tongeschlechter als fantastische Möglichkeit, eine weitere Ebene in den "Messias" zu bringen, nutzte Händel. Man darf allerdings nicht den Fehler begehen, die vielen Parallelen zum Oratorienwerk Bachs herausstellen zu wollen. Denn Händel hat das Werk seines Zeitgenossen nie gehört, hatte dies zu Lebzeiten der beiden Komponisten allenfalls lokale Bedeutung in Leipzig. Vielmehr handelte es sich um die Idiomatik der Zeit, wenn Händel im zweiten Teil die Geißelung durch punktierte Schläge oder die ländliche Idylle mittels eines 12/8-Siciliano abbildete.

Der dreiteilige "Messias" verbindet drei Zeitebenen: Der erste Teil repräsentiert die Vergangenheit, und so künden die Texte, die dem Alten Testament entlehnt sind, von der Verheißung, dass der Gesalbte kommen werde. Die Gegenwart wird durch die Leidensgeschichte Jesu dargestellt, und die Zukunft ist der Ausblick auf unser aller Erlösung. Auch formal orientiert sich das Oratorium an dieser Dreiteiligkeit, die schließlich in einer triumphalen D-Dur-Fuge des Chors ("Amen") kulminiert.

Was diese Einspielung so besonders und außergewöhnlich macht, ist die Orientierung an den Gegebenheiten der Uraufführung. Denn wie bei Händel häufig der Fall, existieren etwa zehn verschiedene Versionen des "Messias": Nicht nur bezüglich der Besetzung, sondern auch hinsichtlich Änderungen an der Partitur hat John Butt die Spur aufgenommen. Erfahrung im Aufspüren von kniffeligen Fällen hat man dank Scotland Yard ja auf der Insel. Und musikwissenschaftliches Arbeiten ist ja im Grunde nichts anderes, als aus diversen (widersprüchlichen) zeitgenössischen Quellen wie Briefen, Zeitungsartikeln, Notenausgaben den Tatsachen möglichst nahe zu kommen. Händel musste 1742 einfach auf die im Vergleich zu London eingeschränkten musikalischen Verhältnisse in Dublin Rücksicht nehmen: Vereinfachte Arien, da ihm nur eine professionelle Sängerin aus Italien zur Verfügung stand; eine weitere Sängerin, die in Ungnade gefallen war und die er rehabilitieren wollte, wurde kurzerhand für drei Arien eingesetzt, die jedoch ihrer Stimmlage angepasst werden mussten; der Chor war relativ klein, da Mitglieder im Ornat nicht an weltlichen Aufführungen teilnehmen durften; Streichungen, die dem Oratorium eine gewisse Stringenz verleihen sollten.

Das Ergebnis: Fünf statt vier Solisten, die gleichzeitig auch eine Rolle im Chor übernehmen. Dadurch wirkt das Klangbild besonders einheitlich - und unterstreicht auch die Qualität des Dunedin Consort! Die insgesamt nur dreizehn Sänger schaffen eine stimmliche Geschlossenheit, wobei die Aufnahme trotz allem die unterschiedlichen Stimmfarben wie in einem Prisma eingefangen hat. Die Dunedin Players auf Orihinalinstrumenten folgen ebenfalls dem historischen Vorbild und zeigen sich verschlankt, was dem Klang in keiner Weise abträglich ist. Im Gegenteil, gerade durch das relativ langsam gewählte Tempo wirkt etwa das "Halleluja" angenehm unaufdringlich, was man von der monströsen Opulenz vieler anderer Einspielungen nun wirklich nicht behaupten kann! Außerdem wird so die hallige Akustik der Greyfriars Kirk in Edinburgh nicht nur bewältigt, sondern aktiv in das Klangkonzept integriert.

Die opulente Box ist wirklich ein Traum: Drei 180-g-LPs plus Textbuch aus hochwertigem Papier, liebevoll gestaltete Label, eine Veröffentlichung, wie man sie aus den Hochzeiten der LP kennt! Die Pressung ist erstklassig, und auch bezüglich des Klangs nimmt dieser "Messias" eine Ausnahmestellung ein. Wenn Sie bisher mit dem "Messias" nur das "Halleluja" assoziiert haben, dann kann ich Ihnen nur raten, bei dieser Aufnahme zuzugreifen. Denn trotz der Orientierung an den Originalgegebenheiten der Uraufführung klingt diese Linn-Ausgabe nicht antiquiert oder angestrengt-gezwungen, sondern frisch, jugendlich und aktuell! Besonders hervorzuheben aus dieser unglaublich homogenen Aufnahme ist der Sopran von Susan Hamilton: Das Rezitativ "Diese Schmach zerbrach ihm das Herz" ("Thy Rebuke Hath Broken His Heart") ist so bewegend, dass ich sicherlich nicht die einzige bin, die die Nadel zurücksetzt!

LP Magazin
01 April 2008