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Richard Tunnicliffe - J.S. Bach: Cello Suites - Klassik

Interpretation: 4 stars
Klangqualität: 4 stars

Entspannter Klangsinn 
Eine ausgewogene und schlüssige Deutung der Cellosuiten Johann Sebastian Bach durch den BritenRichard Tunnicliffe.

Es waren in jüngerer Vergangenheit nicht mehr nur die solistisch über die Maßen profilierten Virtuosen, die sich an Einspielungen der solistischen Violoncellosuiten Johann Sebastian Bachs machten. Auch mancher Protagonist, der seine praktischen Repertoireerkundungen überwiegend im Basso continuo etlicher der großen Ensembles der Alten Musik bewältigte, meldete sich in dieser Weise zu Wort. So tut es nun auch der Engländer Richard Tunnicliffe, der zudem ein überaus vielseitiger Stilist ist. Als Cellist prägte er den Klang des Orchestra of the Age of the Enlightenment oder des Avison Ensemble mit, ist aber auch seit langem ein gefragter Gast in einer namhaften Reihe moderner Orchester. Dazu ist er neben seinen Cello-Aktivitäten Gambist im enorm profilierten Ensemble Fretwork - eine auch für sein Cellospiel nicht zu unterschätzende Erfahrungsdimension.

Denn man meint diese Vertrautheit mit dem weichen Klang der Gambe in der Bach-Interpretation Tunnicliffes zu hören - zu deutlich ist das Verschmelzungsfähige, alles andere als Scharfkantige prägend für seinen Ansatz. Der ist in jeder formalen Hinsicht temperiert zu nennen: Die Tempi sind ganz überwiegend maßvoll gewählt, was besonders die Präludien und Sarabanden plastisch hervortreten lässt. Doch modelliert der Brite auch ein klares Gefälle, was zu insgesamt schlüssigen Proportionen führt. Ein ähnlicher Befund gilt für die Sphäre der Dynamik, die eher im Bereich feiner Nuancen differenziert ist. Artikulatorisch ist Tunnicliffe zwar angenehm präsent, bevorzugt aber doch den gebundenen Ton und fügt die Impulse aus linearer Virtuosität glücklich in diesen Ansatz ein. Schließlich betont Tunnicliffe die omnipräsente strukturelle Komponente der Suiten maßvoll, lässt sie eher als Grundlage und Teil des gesamten Klangtableaus denn in ihrer intellektuellen Kühle hervortreten.

Stilsicheres Selbstbewusstsein

Richard Tunnicliffes Deutung der ersten Suiten ist in der Summe mild durchsonnt zu nennen, die Sätze werden geduldig und hörend musiziert, ohne gekünstelte Überspitzungen oder bloß applizierte Zutaten, die keinerlei interpretatorische Substanz beizutragen vermögen. Deren Charakter folgend, fasst Tunnicliffe die beiden abschließenden Suiten dann entschieden gravitätischer, dabei den Schwerpunkt etwas vom zunächst überwiegenden Klangsinn weg verschiebend. Der erfahrene Brite präsentiert sich insgesamt als lyrischer starker Cellist, der technisch über alles nötige Rüstzeug verfügt und doch offenkundig angetreten ist, mit den Mitteln der Alten Musik dem Klangsinn nachzuspüren, dabei auch von seinem weichen, aggressionsfreien Ton profitierend, der sich wesentlich aus den Qualitäten seines um 1720 in Nürnberg gebauten Violoncellos speist: Der Klang des Instruments ist ausgewogen, mit sehr ausgeglichenen Lagen, einer leicht ansprechenden, zugleich sehr dichten Höhe und einem sehr konkret wirkenden Bassregister, das sich gleichwohl fein gerundet zeigt.

Das Klangbild ist präzis und bietet zunächst ein schönes Porträt dieses wohlklingenden Instruments. Es überzeugt daneben durch seine Plastizität ebenso wie durch seine Homogenität, bindet einen relativ großen Raumanteil gelungen ein und weitet die kammermusikalische Konzentration damit auf charmante Weise. Einzig im Bassregister ist so entstehende Nachhall gelegentlich zu groß. Das Booklet ist vor allem fotografisch ansprechend gestaltet und bietet einen guten Text aus der Feder Richard Tunnicliffes, der objektive Information geglückt mit subjektiver Einordnung verknüpft. All das wird nur in englischer Sprache geboten, die Informationen zum hauptsächlich erklingenden Instrument sind skizzenhaft knapp.

Richard Tunnicliffe bietet eine souverän-gelassene Deutung der Violoncello-Suiten Johann Sebastian Bachs: Der versierte Stilist und Techniker beherrscht die Materie sehr deutlich und zeigt vielleicht auch aus diesem in sich ruhenden Bewusstsein heraus keine Interpretation auf der vordersten Stuhlkante - dafür eine, die bei allem Strukturbewusstsein auf wunderbare Weise einem lyrischen, klangsinnlichen Moment den Vorzug gibt.    

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Klassik
02 May 2012