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Robin Ticciati - Scottish Chamber Orchestra - Berlioz: Les nuits d'ete - Klassik

Interpretation: 4 stars
Klangqualität: 5 stars
Booklet: 4 stars

Zitternd und bebend

Robin Ticcatis zweite Berlioz-Einspielung mit dem Scottish Chamber Orchestra übertrifft den Vorläufer, nicht zuletzt wegen Karen Cargills betörendem Piano-Timbre in 'Les nuits d'été'.

Allein schon wegen der rein orchestralen Zugabe lohnt es, diese Aufnahme zu hören. Denn das Scottish Chamber Orchestra unter der Leitung von Robin Ticciati macht die 'Scène d'amour' aus Hector Berlioz‘ Dramatischer Sinfonie 'Roméo et Juliette' zu einem orchestralen Klangvergnügen, das nicht nur das Säuseln der Blätter und das Beben der Herzen, sondern auch den Austausch der Liebenden suggestiv nachzeichnet. Robin Ticciati knüpft mit dieser Berlioz-Aufnahme an seine ebenfalls bei Linn als hybride SACD herausgekommene 'Symphonie fantastique' an. Auch hier zeigen sich Orchester und Dirigent vom historisch informierten Zugang deutlich beeinflusst: Der Streicherklang ist äußerst variabel und geht von einem sehr reduzierten Vibrato aus, weiß aber auch klangsinnlich aufzublühen und in gleichem Maß fahl auszutrocknen. Dem Vorbild historisch informierten Musizierens verdankt sich auch ein Phrasierungsideal, das auf kürzesten Strecken (oft innerhalb weniger Takte) mit dynamischer Feinarbeit Gesten des Öffnens und Schließens ausprägt und auf diese Weise der Musik Sprachcharakter verleiht. So tritt in dieser‚ Liebesszene‘ das dialogische Element deutlich in den Vordergrund, während sich andere Interpreten oft auf das liebliche Klangfarbenspiel und den sogenannten großen Bogen konzentrieren. Wunderbar leichtfüßig, aber doch mit fiebriger Liebeslust und bebendem Herzen wird hier etwa die Cellolinie gezeichnet.

Mit der dynamischen Feinarbeit der sprachnahen Phrasierung korrespondiert bei Robin Ticciati eine freie Temponahme, die das Klanggeschehen stets in freiem Fluss hält - mal sachte nach vorn drängend, mal sanft zurückhaltend. Das kommt auch der Orchesterbegleitung der Kantate 'La mort de Cléopâtre' sehr zugute. Ohne je ins Buchstabieren oder klassizistische Bausteinmusizieren zu verfallen, wie dies den Berliner Philharmonikern unter Simon Rattle in diesem Stück passiert ist, nimmt das höchst agile Scottish Chamber Orchestra den dramatischen Impuls auf und begeistert mit hochflexiblem, klangfarblich ungemein reich schattiertem Musizieren.

Die schottische Mezzosopranistin Karen Cargill, eine Berlioz-erfahrene Sängerin, lässt es an dramatischem Impetus nicht fehlen. Sie verfügt über eine weich timbrierte Mittellage, mit der sie die lyrischen Momente, etwa Cleopatras Rückschau, auskostet. Geht es allerdings mit dynamischer Kraft und expressiver Attacke in die Höhe, bekommt ihre Stimme eine unangenehme Schärfe, die durch das rasche und in der Höhe etwas aus den Fugen geratende Vibrato verstärkt wird.

Ähnlich verhält es sich in den sechs Liedern, die Berlioz unter dem Titel 'Les nuits d'été' zusammengefasst hat (von einem Liederzyklus im engeren Sinn kann man hier kaum sprechen). Das schnelle Vibrato, das die Sängerin nur momentweise zurücknimmt (etwa in 'Sur les lagunes'), lässt die ruhige Kantilene in 'Le spectre de la rose' etwas flackernd erscheinen, allerdings verblasst das schnell vor der wohligen Wärme von Karen Cargills Mezzosopran, die vor allem in Pianoregionen ihre Stimme edel glänzen lässt. Hinzu kommt ein schmiegsames Legato, das vor allem im letzten Teil von 'Absence' zu begeistern weiß sowie im Eingangsabschnitt des folgendes Liedes 'Au cimetière'.

Wie es bei Produktionen aus dem Hause Linn Usus ist, kann die SACD mit einer exzellenten Klangqualität aufwarten, die den ganzen Farbenreichtum des klein besetzten Orchesters optimal zur Geltung bringt, in der Balance zwischen Singstimme und Klangkörper perfekt geraten ist und nicht zuletzt im dynamischen Bereich eine riesige Spanne aufweist, vor allem aufgrund der feinen Abstufungen im Piano- und Pianissimo-Bereich. Das rein englischsprachige Beiheft enthält ausführliche Einführungstexte zu den drei Werken sowie die Gesangstexte inklusive englischer Übersetzung.    

Klassik
28 August 2013